Die Akaflieg Hannover und die Akaflieg München führen gemeinsam mit jeweils einem Lehrstuhl in Hannover und München das Forschungsprojekt „CraCpit/NaSiCo“ im Rahmen des Luftfahrt-Forschungsprogramms (LuFo V-3) durch, welches sich mit Nachrüstlösungen und Neukonstruktionen für Crash-Cockpits beschäftigt. Im Rahmen der bisherigen Recherchen wurde festgestellt, dass etwa in der Hälfte aller untersuchten Flugunfälle der letzten zehn Jahre das Flugzeug mit einem Flugbahnwinkel von ca. 45° auf dem Boden auftrifft. In den meisten Fällen sind die Unfälle eine Folge eines überzogenen Flugzustands und gegebenenfalls Trudeln. Für die Bestimmung der kinetischen Energie, die durch das Crash-Cockpit aufgenommen werden muss, ist die Aufprallgeschwindigkeit essenziell.
Das hier beschriebene Sondermessprojekt zielt darauf ab, die typischen Geschwindigkeiten, Fluglagen und Rotationsgeschwindigkeiten beim Trudeln zu bestimmen, um die bisherigen Annahmen für die Lastfalldefinition im LuFo-Projekt zu überprüfen und genauere Anhaltspunkte für die Gültigkeit der Annahmen zu erhalten. Von vorwiegendem Interesse ist für uns dabei die kinematische Geschwindigkeit des Flugzeugs im erdfesten Koordinatensystem bzw. deren Betrag, insbesondere die Vertikalkomponente. Außerdem interessant sind (auch über den eigentlichen Zweck des Sondermessprojektes hinaus) die Drehraten des Flugzeugs um alle drei Achsen des körperfesten Systems, Fluglagen (Hängewinkel, Nickwinkel Azimuthwinkel) sowie die Beschleunigungen, die beim Trudeln auftreten. Aus den Messdaten können außerdem charakteristische Schwingungen und deren Eigenschaften bestimmt werden. Die Messdaten werden in Form einer Datenbank auch für spätere Untersuchungen und Flugversuche zur Verfügung stehen.
Die oben genannten Größen sind mit den typischerweise an Bord vorhandenen Instrumenten oder dem bekannten Zacherbesteck – PhiPsiTheta und Stoppuhr – nicht in ausreichender Auflösung und Genauigkeit messbar. Deswegen benötigten wir für die Messung der relevanten Größen und deren Speicherung eine kombinierte Messeinheit, welche über verschiedene Sensoren verfügt sowie die Datenfusion zur Ausgabe einer konsistenten Navigationslösung durchführt. Eine solche komplexe Messbox – auch Inertial Measurement Unit (IMU) oder Attitude and Heading Reference System (AHRS) genannt – konnten wir von der Firma Vectoflow ausleihen. Fabian „Klemmt“ Gesele von der Akaflieg Stuttgart gab uns technische Unterstützung durch Programmierung sowie beim Einbau der Messeinheit.
Die von uns verwendete Messeinheit lieferte uns als Ausgabe die folgenden Daten, welche teilweise durch eine Schätzung mit den gemessenen Daten fusioniert wurden: Körperdrehraten, Lagewinkel des Flugzeugs, Beschleunigungen im Schwerpunkt, kinematische Geschwindigkeiten (Geschwindigkeit des Flugzeugs gegenüber der Erde), sowie die Position im Raum. Um die dynamischen Bewegungen des Flugzeugs ausreichend genau erfassen und auswerten zu können, nahmen wir die Daten bei einer Frequenz von 100 Hz auf. Als zusätzliches Rückfallinstrument sowie zum Vergleich von Messdaten führten wir bei einigen Flügen einen Logger mit, wie man ihn von Streckenflügen kennt. Das verwendete Gerät konnte jedoch maximal mit der Frequenz von 1 Hz loggen, sodass diese Daten nur für die Auswertung von Geschwindigkeiten bzw. Positionen nutzbar sind. Außerdem nutzten wir die Bordinstrumente der Versuchsflugzeuge für Windschätzungen und einen Vergleich des Höhenverlustes während der Manöver.
Vor Ort in Stendal mussten wir zunächst die Messinstrumente in unser jeweiliges Versuchsflugzeug einrüsten. Die integrierte und kompakte Messeinheit ließ sich glücklicherweise einfach und rasch im Gepäckfach verstauen, sodass nur noch eine zusätzliche GPS-Antenne installiert werden musste. So hatten wir den Vorteil, dass wir im weiteren Verlauf des Sondermessprojektes vor Ort schnell und unkompliziert Flugzeuge einrüsten konnten.
Unsere Flugversuche sollten aus Gründen der Sicherheit nur innerhalb der bereits zugelassenen Flugenveloppen der verwendeten Flugzeuge stattfinden. So vermieden wir außerdem die andernfalls notwendigen Absprachen mit den Behörden sowie die Erstellung detaillierter Flugberichte. Da Trudeln (je nach Ansicht) unter Kunstflug fällt, war eine gültige Kunstflugberechtigung die einzige zusätzliche Anforderung an unsere Testpiloten. Vor jedem Flug führten wir ein detailliertes Briefing mit dem jeweiligen Piloten durch, bei welchem die Durchführung der Manöver besprochen wurde. Außerdem betonten wir die dringende Einhaltung der Sicherheitshöhe von 1000 m über Grund, welche wir im Vorhinein mit Fachkundigen festgelegt hatten.
Unsere Versuchsflüge sollten zunächst im Doppelsitzer stattfinden, um sich die Arbeit im Cockpit während des Fluges zu teilen und den Versuchsaufbau zu erproben. Jedoch entschieden wir nach dem ersten doppelsitzigen Flug, dass die Durchführung der Versuchsflüge entsprechend der vorbereiteten Testkarten auch gut einsitzig möglich ist. Deswegen zogen wir auch die in Stendal verfügbaren Einsitzer für die Vermessung in Erwägung.
Wir wollten ein insgesamt recht kostengünstiges Sondermessprojekt durchführen, indem wir überwiegend Thermik für Höhengewinn nutzten. Anschließend sollte die Höhe außerhalb der Thermik abgetrudelt werden, bevor die Piloten wieder in der nächsten Thermik steigen sollten. Die wichtigsten Bedingungen für erfolgreiche Messflüge waren daher gute Thermik und eine hohe Wolkenbasis von mindestens 1500 m über Grund.
Wir führten während unserer Messkampagne insgesamt neun Messflüge durch, wovon wir einen leider wegen eines aufziehenden Unwetters vorzeitig abbrechen mussten. Die durchgeführten Flüge verteilten sich auf fünf verschiedene Flugzeuge – DG-1000, AK-8, AFH 24, ASW 24b, und D-43 – bei unterschiedlichen Abflugmassen und Schwerpunktlagen. Innerhalb der von uns gesetzten Maximalflugzeug von zwei Stunden konnten wir während jedes Messflugs zwischen vier und sieben Manöver aufzeichnen, sodass wir insgesamt über 30 Manöver auswerten können. Durch gute Absprache innerhalb aller Beteiligten schafften wir es sogar, unser Messsystem auch bei Flügen anderer Sondermessprojekte zu installieren (D-43 und AFH 24), sodass wir mit einzelnen Flügen Messdaten für mehrere Projekte erzeugen konnten.
Die vollständige Auswertung der Messdaten ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Wie gewohnt werden wir die im Sondermessprojekt erzielten Ergebnisse natürlich beim nächsten Wintertreffen im Januar 2020 ausführlich vorstellen.
Bis jetzt zeichnen sich jedoch schon einige wichtige Erkenntnisse ab. Die erste betrifft die Auswirkungen des Windes, welcher an einigen Tagen in den erreichten Höhen teilweise bis zu 30 km/h betrug und somit die Auswertungen erschwert. Da die kinematische Geschwindigkeit der vektoriellen Summe aus aerodynamischer Geschwindigkeit und Windgeschwindigkeit entspricht, ist eine genaue Windschätzung bzw. -messung notwendig. Diese kann bei Annahme konstanten Kreisflugs in der Thermik über den mittleren Windversatz abgeschätzt werden. Die zweite Erkenntnis betrifft die festgestellten Trudelformen. Wie uns bereits aus der Trudeltheorie bekannt ist, hat die Schwerpunktlage eine wichtige Bedeutung für die Trudeleigenschaften, was wir im Rahmen der Versuchsflüge deutlich zeigen konnten. Es zeigt sich auch, dass das Abgrenzen eines stationären Trudelns zu instationären Bewegungen schwierig ist. Nicht zuletzt müssen wir feststellen, dass die beim Trudeln erreichten Geschwindigkeiten mit bis zu 30 m/s allein in der Vertikalkomponente deutlich größer sind als ursprünglich vermutet. Die Auswertung unserer erzeugten Messdaten wird also voraussichtlich für viel Platz für Diskussionen und Interpretationen lassen.
Ein kleiner zusätzlicher Zweck unserer Messdaten zeigte sich erst im Anschluss an das Sondermessprojekt: Verschiedene Akaflieger und Behördenmitarbeiter zeigten bereits Interesse an den Messdaten, um sie als zusätzliche Informationen in die Nachweisunterlagen von verschiedenen Prototypen aufzunehmen.
Zum Abschluss möchte ich allen an diesem Sondermessprojekt Beteiligten – am Boden wie in der Luft – herzlich danken. Besonderes hervorheben möchte ich die Unterstützung durch Thomas Decker und die Firma Vectoflow, welche uns die Messeinheit zur Verfügung stellten. Ebenso besonders bedanken möchte ich mich bei Fabian „Klemmt“ Gesele von der Akaflieg Stuttgart für die hilfreiche Unterstützung beim Programmieren der Messbox sowie deren Einbau.
Autor: Roberto Fillbrandt, Akaflieg München
Titelbild: Tobias Barth